Gedanken zu Sicherheitsausrüstung und Verantwortlichkeit

ergänzt 26.5.09/cam.

Safety-Equipment
Wie Jakob Röthlisberger einen Tag nach seinem Sturz (Kollision mit einem tief hängenden Ast vor Sprung 10 im CNC B3) selbst ausführte, sei er nur knapp am Rollstuhl vorbei geschrammt. Er ist überzeugt, dass die Airbag-Weste, die beim Sturz von Pepo Puch eher als den Schaden mitverursachend qualifiziert wurde, bei ihm wesentlich zum guten Ausgang des Sturzes beigetragen habe. Kobi trug über einem normalen Rückenschutz diese sich wie ein Auto-Airbag bei einer gewissen Entfernung vom Sattel mit Luft füllende Sicherheitsweste, die den Fall auf den Rücken abfederte. Hier zeigt sich wieder einmal die Crux der Sicherheitsausrüstung im CC: je nach Sturz kann die Airbag-Weste entscheidend helfen oder - wenn sie das Abrollen bei einem Sturz nach vornüber behindert, sogar schaden.

Obwohl die von Kobi getragene Sonnenbrille speziell für den Sport gemacht und mit nicht splitternden Scheiben versehen ist, führte der Zusammenprall mit dem Ast zu leichten Gesichtsverletzungen. Ebenfalls Gedanken muss man sich zu den Vollhelmen machen, die von einigen Schweizer CC-ReiterInnen - unter anderem auch von Kobi Röthlisberger - getragen werden und die z.B. in England verboten sind. Die Begründung der Engländer ist, dass diese für Gleitschirmpiloten gemachten Helme die Wahrnehmung zu sehr beeinträchtigen. Schutz kann sich immer auch als Behinderung erweisen - dies ist die Kehrseite der Medaille. Es gibt in unserem Sport vorläufig kein alleinseligmachendes Safety-Equipment.Wobei laut Aussagen von Kobi das Problem bei seinem Sturz nicht in der Wahrnehmungseinschränkung unmittelbar bei der Annäherung ans Hindernis lag, sondern in der Tatsache, dass er trotz zweimaliger Cross-Besichtigung den hinderlichen Ast nicht gesehen hatte.

Stürze gehören zum CC-Sport - aber sie unterscheiden sich in ihrer Vermeidbarkeit
Die naheliegendste Massnahme ist, Stürze so gut wie möglich zu vermeiden. Dies wird aber nie vollständig möglich sein. Wer immer auf was immer hinauf steigt, kann auch runterfallen - dies beginnt beim kletternden Kleinkind und führt über alle Erhöhungen, Leitern, Berge bis zu allen Fahr- und Flugzeugen. Die beste Massnahme ist die Optimierung der Beherrschung der Tätigkeit, die man auf erhöht ausübt. Je grösser die Entfernung zum Boden, je höher die Geschwindigkeit, mit der man unterwegs ist und je grösser das Verletzungspotenzial im Sturzbereich, je vielfältiger die sturzauslösenden Faktoren, desto wichtiger ist es, dass die Akteure über eine möglichst gute Ausbildung für ihre Tätigkeit verfügen. Aus diesen Überlegungen kommt mein Engagement für CC-Lizenz, Stilcup und Geländekurse für Einsteiger und Basisreiter. Denn im CC-Sport sind alle erwähnten Faktoren auf der überdurchschnittlichen Seite, wenn man sie mit dem Risikopotenzial bei anderen Aktivitäten vergleicht. Die Entfernung vom Boden ist zwar nicht sehr gross, aber die Geschwindigkeit ist relativ hoch und das Verletzungspotenzial im Sturzbereich ist in aller Regel auch hoch.

Sturzauslösend ist im CC-Sport in den allermeisten Fällen ein auf mangelnde Ausbildung des Pferdes und/oder mangelnde Athletik des Reiters zurück zu führender Balanceverlust. Ein Pferd macht im letzten Augenblick vor einem Hindenis einen Schwenker zur Seite oder hält abrupt an - der unvorbereitete oder nicht optimal sattelfeste Reiter purzelt runter. Hier kann ein Crossbauer nur dafür sorgen, dass im Sturzbereich möglichst wenig Verletzungspotenzial vorhanden ist, aber vermeiden kann er diese Stürze nicht. Mehr Einfluss hat er bereits bei den Stürzen, die auf Fehleinschätzungen von Reiter und Pferd beruhen: der Reiter führt sein Pferd nicht in eine zumutbare Absprungzone, das Pferd springt trotzdem ab und kommt in mehr oder weniger harten Kontakt mit dem Hindernis, der Reiter geht zu Boden, das Pferd vielleicht auch. Am gefährlichsten sind bei diesen Stürzen, bei denen 'Anhängen am Hindernis' der auslösende Faktor ist, nicht diejenigen aus hohem Tempo, sondern die aus dem Stand, da hier das Risiko am grössten ist, dass der Reiter vom Pferd erdrückt wird. Zur Vermeidung dieser Art von Stürzen kann der achtsame Crossbauer sehr viel beitragen. Wenn wir Gelegenheit haben, Geländestrecken von Rüdiger Schwarz, Peter Hasenböhler, Rüdiger Rau, Mike Etherington Smith und anderen Top-Designern zu studieren, sehen wir, wieviel gemacht wird zur Sturzvermeidung bzw. zur Minimierung der Verletzungsgefahr bei den trotzdem immer wieder vorkommenden Stürzen. Es würde den Rahmen dieser Ausführungen sprengen, auf alle crossbautechnischen Details einzugehen und ich begnüge mich mit dem Hinweis auf Abrundung der Kanten, Absprunghilfen in Form vorgelagerter Elemente, nach hinten versetzte Oberlinien aus weichem Material, Rumpler-sichere Verankerung im Boden und so weiter.

Aber hier im Falle des Sturzes von Kobi Röthlisberger war der sturzauslösende Faktor ja nicht ein Hindernis, sondern ein Element, das im weitesten Sinne zum Umfeld des Geläufs gehört. In diese Kategorie gehören neben Bäumen und Ästen natürlich die Topographie, die Bodenbeschaffenheit, die Linienführung, allfällige Abschrankungen des Trassees, aber auch die Beachtung der Sonneneinstrahlung bei der Annäherung an ein Hindernis. Auch hier kann der Crossbauer sehr viel zur Sturzvermeidung beitragen. Paradebeispiel ist die Anlage des grossen Teiches für die WM 2006 in Aachen, wo die Landestelle mit leichter Neigung gebaut wurde und es bis heute nach vier Jahren internationaler Spitzenveranstaltungen nie zu einem Sturz bei diesem Wassereinsprung gekommen ist. Kluge Linienführung und Pflege des Geläufs kann selbstverständlich nicht nur Stürze, sondern auch schwere Verletzungen von Pferdebeinen vermeiden helfen. Aber es gilt rund um das Stürzen im CC-Sport das alte Dictum von Wolfgang Feld, dem Crossbauer der OS Barcelona: "Gegen hirnloses Reiten kann der beste Geländebauer nichts tun!"

Bei einem einzelnen Ereignis gilt es also abzuklären, wie es mit der Verantwortlichkeit steht.

Die Abgrenzungsschwierigkeiten bei der Verantwortung
Wie überall, wo mehrere Verantwortungsträger aufeinander treffen, stellt sich auch beim Veranstalter und Teilnehmer von reitsportlichen Veranstaltungen das Problem der Grenzziehung. Wo endet die Verantwortung des Reiters und beginnt diejenige des Veranstalters - und umgekehrt? Und wer ist innerhalb des Veranstalter-Teams wofür und in welchem Masse verantwortlich? Es gibt keine simplen Rezepte zur Lösung dieser Fragen. Jeder Einzelfall muss genau analysiert und gewichtet werden - Alltagsbrot aller Anwälte und Gerichte. Die FEI versucht zurzeit mit der Massnahme der Sammlung und Auswertung möglichst detaillierter Sturzprotokolle Grundlagen zu schaffen für Massnahmen im Geländebau, aber auch für die Frage der Veranwortungszuweisung. Hier geht es aber nicht um Hindernisbau, sondern um Gefahrenminimierung auf dem Weg von Sprung zu Sprung ähnlich wie bei dem Fall des belgischen Reiters, der am CIC* in Frauenfeld über einen riesigen Ladewagen zu springen versuchte, der vom Veranstalter absichtlich zur Sperrung eines für eine andere Kategorie vorgesehenen, aber bereits ausgeflaggten Strassenübergangs hingestellt worden war.

Selbstverständlich gehört es zu einer sorgfältigen Streckenbesichtigung und damit in die Verantwortung des Reiters, nicht nur die Hindernisse, sondern das ganze Geläuf mit allem Umfeld genau zu studieren und mögliche Gefahren zu registrieren. Aber genau so selbstverständlich gehört es zu den Pflichten des Veranstalters, leicht vermeidbare und damit unnötige Gefahren zu vermeiden. Diese beiden Verantwortlichkeitsbereiche überlappen sich nun aber und genau in dieser Grauzone finden die durchaus berechtigten Debatten statt. Es geht also auch in den beiden erwähnten Fällen in Frauenfeld und Bern nicht um billige einseitige Schuldzuweisung, sondern um eine differenzierte Betrachtung der Fälle und eine Abwägung der Zumutbarkeit.

Aus Veranstaltersicht kann man im aktuellen Berner-Fall argumentieren: "Der Ast war schon bei der Besichtigung so, alle anderen haben ihn gesehen und ihre Linienführung bzw. Reitweise entsprechend darauf abgestimmt" - Der Reiter könnte entgegnen: "Ich konzentrierte mich bei der Besichtigung auf den Sprung und den Boden davor. Obwohl ich das NPZ sehr gut kenne, ist mir der Ast nicht aufgefallen. Die Linienführung war erstmals so."

Bei der Abwägung zwischen den beiden Sichtweisen kan man nun die Zumutbarkeit des Erkennens und Abwenden des Gefahrenpotenzials vergleichen. Die Fragen lauten in Bern wie in Frauenfeld: "Hätte der Konkurrent bzw. der Veranstalter dieses Gefahrenpotenzial erkennen müssen? Wenn ja, wäre ihm die Abwendung der Gefahr zuzumuten gewesen?" In beiden Fällen würde ich viermal bejahen: sowohl die beiden Konkurrenten wie die beiden Veranstalter hätten die Gefahr erkennen müssen und eine Abwendung der Gefahr wäre allen zumutbar gewesen.

Also ist nur noch die Frage, wer es mit grösserer Sicherheit hätte erkennen müssen und mit weniger Aufwand hätte abwenden können - und da komme ich in einer sorgfältigen Abwägung in beiden Fällen auf den Veranstalter. Das Reglement sieht meines Erachtens genau aus solchen Gründen sowohl eine Ausbildung für die Crossbauer wie eine mehrfache Kontrolle des Crossbaus vor, zuerst durch den TD, dann durch den Jurypräsidenten. Hier sind drei verschiedene, gut ausgebildete Fachpersonen am Werk, von denen der eine den anderen kontrollieren und auf Unzulänglichkeiten hinweisen soll und muss. Kommt dazu, dass sich ein Crossbauer viel länger und intensiver mit Linienführung, Geläuf und den einzelnen Hindernissen beschäftigt als der Konkurrent, der vor allem an einer Eintagesprüfung ein- bis zweimal durcheilt und dann reitet. Ganz allgemein ist also meines Erachtens ein höherer Anspruch an den Veranstalter zu stellen bezüglich des Erkennens möglicher Gefahren als an den Teilnehmer.

In den beiden diskutierten Fällen kommt dazu, dass das Abwenden der Gefahr vergleichsweise leicht gewesen wäre. In Frauenfeld hätte es gereicht, die Fanions links und rechts des vorbereiteten Wegübergangs für die Dauer des CIC* zu entfernen oder vor dem hingestellten Ladewagen zu kreuzen. In Bern hätte die von Röthlisberger und von einer vor ihm gestarteten Teilnehmerin gewählte direkteste Linie abgesperrt, der Ast rechtzeitig abgehauen oder eine völlig andere Linienführung gewählt werden können.

Unzumutbarkeit der Gefahrenabwendung durch den Veranstalter bei Waldpassagen
Anders liegt der Fall bei Geländestrecken, die durch Wälder mit dichtem Baumbestand führen wie z.B. in Casorate oder Ravenna. Hier ist die Gefahr ebenfalls sowohl für den Veranstalter wie für die Teilnehmer klar erkennbar, aber die vollständige Abwendung ist dem Veranstalter schlicht nicht zumutbar, da er ja die ganzen Wälder links und rechts des Trassees grossflächig abholzen müsste. Natürlich kann er durch eine geschickte Linienführung die Gefahr mindern, z.B. indem er scharfe Wendungen unmittelbar vor dichtem Baumbestand vermeidet, aber der Reiter muss sich bewusst sein, dass es in seiner Verantwortung liegt, das Tempo der Rittigkeit seines Pferde und dem erhöhten Risiko eines Zusammenpralls mit einem Baum anzupassen.

Verantwortung des Veranstalters gegenüber den Zuschauern
Wieder anders ist es bei Linienführungen, die vom Veranstalter aus Attraktionsgründen gewählt werden. Nach einer schwierigen Wasserausspung-Kombination in Badminton vor rund 10 Jahren musste scharf nach rechts abgewendet werden. In der Verlängerung der Herausreitlinie wurde ein spezieller Bezirk für die akreditierten Fotografen abgesteckt. Ein Konkurrent verlor die Balance beim Aussprung, hing auf dem Hals seines Pferdes, das geradeaus in die Fotografenmeute sprang und einige verletzte. Hier ist m.E. ganz klar die Verantwortung beim Veranstalter, denn beim CC-Sport muss mit einem vorübergehenden Balance- und Kontrollverlust gerechnet werden. Dies erhöht auch die Verantwortung des Veranstalters gegenüber auf der Strecke herumhühnernden Zuschauern, Kindern und Hunden. Es ist nicht Aufgabe des Reiters, darauf Rücksicht zu nehmen, er hat Anspruch auf freies Geläuf zwischen den Sprüngen, auch auf unorthodoxen Wegen, z.B. wenn er seinem Pferd das Wasser zeigt, indem er es ohne Sprung hinein und wieder herausreitet, sei es nach einem Vorkommnis oder präventiv. Es ist Sache des Veranstalters, entweder das Geläuf einzuzäunen oder die Hindernisrichter darauf einzufuchsen, sämtliche möglichen Reitlinien frei zu halten, wenn ein Konkurrent sich nähert. Hier gibt es immer wieder gefährliche Situationen, für die der Veranstalter verantwortlich ist, da er nicht damit rechnen darf, dass die Zuschauer vom Fach sind und alle möglichen Linien kennen, die ein Reiter wählen wird. Oft sind die Hindernisrichter nicht genügend ausgebildet und kennen selbst nicht alle möglichen Linien, die von einem Reiter gewählt werden könnten.

Ausbildungsanstrengungen
Die Interessen decken sich ja durchaus: Sowohl Veranstalter wie Reiter wünschen sich einen möglichst unfallfreien Verlauf. Und gemessen an der Zahl bewältigter Sprünge ist die Anzahl von Stürzen mit Verletzungsfolgen auch in unserem Land gering. Das heisst aber nicht, dass wir uns gemütlich zurücklehnen könnten. Die wichtigste und effizienteste Stossrichtung ist meines Erachtens die Ausbildung auf allen Ebenen und die laufende Supervisionierung bzw. Kontrolle des Ausbildungsstandes. Ausbildungsanforderungen und deren Kontrolle sind nicht als Schikanen, als Behinderung der Sportausübung zu betrachten, sondern im Gegenteil als Zuwendung, als Unterstützung des Sports. Eine CC-Lizenz zu verlangen bedeutet auch, die Ausbildung als wichtig zu betrachten, den CC-Sport als eigenständigen Sport ernst zu nehmen und nicht weiterhin als Anhängsel des Spring- und Dressursports zu betrachten. Auch die Stilwertung, so wie wir sie dieses Jahr initiiert haben, soll das effiziente, funktionale, sichere CC-Reiten fördern und Ausbildungsanreize auslösen bei den helvetischen CC-Reitern. Auch als Crossbauer fühlt man sich ernst genommen, wenn man Kurse besuchen und Prüfungen bestehen muss - und wenn immer wieder mal ein internationaler Fachmann die eigenen Kurse begutachtet. Vor einem Top-Fachmann zu bestehen, erfüllt doch mit Stolz! Und auch in der oft unterschätzten Funktion des CC-Hindernisrichters ist es nicht Belästigung, sondern Wertschätzung, wenn man gut ausgebildet und während der Arbeit besucht und unterstützt wird. In vielen Fällen ist nur schon das Bedienen des Funkgeräts und die klare Informationsübermittlung ein Problem, ganz zu schweigen von so delikaten Fragen wie der, ob ein Reiter bei Hindernissen mit Alternativen und bei Kombinationen ein Element angeritten habe oder nicht. Bei diesen mir so wichtig scheinenden Ausbildungsanstrengungen stossen wir immer wieder an die Grenzen der Ehrenamtlichkeit. Denn wenn wir wirklich fachkompetente Ausbilder wollen, müssen wir sie auch entschädigen. Nur dann können wir die Forderung nach Qualitätsarbeit auch durchsetzen. Und der CC-Sport erträgt meines Erachtens noch weniger als alle anderen reitsportlichen Disziplinen amateurhafte Stümperei. Natürlich gibt es sowohl auf Reiter- wie auf Veranstalterseite eine grosse Palette zwischen unzulänglicher Amateurleistung und profihafter Perfektion und ebenso klar ist mir, dass die CC-Szene Schweiz zu winzig ist, um in allen Funktionen Profis zu haben. Aber die Tendenz muss meines Erachtens klar in Richtung einer Professionalisierung der Ausbildung von Funktionären und Reitern gehen. Wir brauchen wenigstens ein paar wenige Profis, die die Amateure so gut ausbilden, dass sie qualitativ akzeptable Leistung bieten. Diese Profis haben wir im Spring- und Dressurbereich und wir hätten sie auch für die Geländeausbildung der CC-Reiter; genau so gibt es in der Schweiz Crossbauer, Veranstalter-Profis, Dessurrichter, die für Ausbildung und Supervisionierung unserer CC-Funktionäre zu gewinnen wären - gegen anständige Entschädigung selbstverständlich. Und wenn man an das Gejammer der CC-Verantwortlichen über mangelnde Mittel denkt, bräuchten wir wohl auch ein paar Fund-Rising-Profis - arbeitslose Banker gibt es ja zurzeit genug.

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